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Existenz und Eindeutigkeit

Ein metrischer Raum $ X$ mit Metrik $ d:X\times X\to\mathbb{R}$ heißt vollständig, wenn jede Cauchy-Folge in $ X$ einen Grenzwert in $ X$ hat.

Es sei $ D\subset\mathbb{R}$ ein (offenes oder geschlossenes, beschränktes oder unbeschränktes) Intervall. Es sei $ C^0_b(D,\mathbb{R}^k)$ die Menge der stetigen und beschränkten Funktionen von $ D$ nach $ \mathbb{R}^k$ .

Satz 9   Die Menge $ C^0_b(D,\mathbb{R}^k)$ ist bezüglich der Norm $ (f,g)\mapsto\sup_{x\in D}\vert\vert f(x)-g(x)\vert\vert$ stetig, wobei $ \vert\vert\cdot \vert\vert$ die Euklidische Norm auf $ \mathbb{R}^k$ ist.

Beweis. Es sei $ (f_n)_n$ eine Cauchy-Folge von stetigen Funktionen. Für jedes $ x$ ist dann auch die Folge der Funktionswerte $ (f_n(x))_n$ Cauchy, weil $ \vert f_m(x)-f_m(x)\vert\le d(f_m,f_n)$ gilt. Die reellen Zahlen sind vollständig, daher existiert der Grenzwert und wir können die Grenzfunktion $ \bar{f}:D\to\mathbb{R}$ definieren durch $ \bar{f}(x)=\lim_{n\to\infty}f_n(x)$ .

Um zu zeigen daß $ \bar{f}$ stetig ist, wählen wir $ \epsilon>0$ und $ n$ so, daß $ d(f_n,\bar{f})<\epsilon/3$ ist. Wir wählen auch ein kompaktes Teilintervall $ I\subset D$ , in diesem ist $ f_n$ gleichmäßig stetig und es existiert $ \delta$ mit $ \vert f_n(x)-f_n(y)\vert\le\epsilon/3$ . Dann ist wegen der Dreiecksungleichung $ \vert\bar{f}(x)-\bar{f}(y)\vert\le \vert\bar{f}(x)-f_n(x)\vert+\vert f_n(x)-f_n(y)\vert+\vert f_n(y)-\bar{f}(y)\vert
<\epsilon/3+\epsilon/3+\epsilon/3=\epsilon$ für alle $ x,y\in I$ mit $ \vert x-y\vert<\delta$ , also ist $ \bar{f}$ gleichmäßig stetig in $ I$ . Das gilt für jedes kompakte Teilintervall, daher ist $ \bar{f}$ in ganz $ D$ stetig. $ \qedsymbol$

Satz 10 (Banachscher Fixpunktsatz)   Es sei $ X$ ein vollständiger metrischer Raum und $ f:X\to X$ eine kontrahierende Abbildung, das heißt es existiert $ c<1$ sodaß für alle $ x,y\in X$ gilt $ d(f(x),f(y))\le cd(x,y)$ . Dann besitzt $ f$ einen eindeutigen Fixpunkt.

Satz 11 (Picard/Lindelöf)   Es sei $ D$ ein Intervall (offen oder abgeschlossen, beschränkt oder unbeschränkt), $ k$ eine positive ganze Zahl, $ F:D\times\mathbb{R}^k\to\mathbb{R}^k$ eine stetige Funktion, die die Lipschitz-Bedingung erfüllt: es existiert eine Konstante $ L\in\mathbb{R}$ , sodaß für alle $ x\in D, y,z\in\mathbb{R}^k$ gilt $ \vert\vert F(x,y)-F(x,z)\vert\vert\le L\vert\vert y-z\vert\vert$ . Es sei $ x_0\in D$ , $ y_0\in\mathbb{R}^k$ . Dann hat das Anfangswertproblem

$\displaystyle y'(x)=F(x,y(x)), \ y(x_0)=y_0 $

eine eindeutige Lösung $ y:D\to\mathbb{R}^k$ .

Beweis. Wir beweisen den Satz zunächst für ein kompaktes Teilintervall $ I=[a,b]$ in $ D$ . Wir definieren den Operator $ P:C^0_b(I)\to C^0_b(I)$ durch

$\displaystyle f \mapsto P(f), P(f)(x)=y_0+\int_{x_0}^x F(t,f(t))dt $

Jede Lösung des Anfangwertproblems ist ein Fixpunkt von $ P$ , und umgekehrt ist jeder Fixpunkt differenzierbar und löst das Anfangswertproblem. Durch Abschätzen des Integrals zeigt man die Ungleichung

$\displaystyle d(P(f),P(g)) \le L(b-a) d(f,g) $

für alle $ f,g\in C^0_b(I)$ .

Falls $ L(b-a)<1$ ist, gilt die Existenz und Eindeutigkeit wegen Satz 10. Im allgemeinen Fall, bzw. falls $ D$ nicht kompakt ist, kann man $ D$ überdecken durch überlappende kompakte Teilintervalle und bekommt die Existenz und Eindeutigkeit durch Fortsetzen der Lösung auf den Teilintervallen. $ \qedsymbol$

Der Satz von Picard/Lindelöf gilt auch für Differentialgleichungen höherer Ordnung, weil diese durch Einführung von Geschwindigkeitskoordinaten auf vektorielle Differentialgleichungen zurückgeführt werden können. Hier sind auch die Werte der Ableitungen bis zur Ordnung minus 1 an der Anfangsstelle vorzugeben.

Literatur:
[3, III.12, IX.60]


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Josef Schicho 2016-01-17